Schachgroßmeisterin Elisabeth Pähtz
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Und den Heimvorteil gibt es doch...
Manch einer behauptet, dass es im Schach so etwas wie einen Heimvorteil nicht gibt. Ja gut, man spielt meist nicht vor kreischendem Publikum, oder sieht Unmengen wilder Fans und Hooligans mit Fahnen umherwedeln. Allerdings ist es für viele Schachspieler durchaus wichtig, dass das Umfeld stimmt und das allgemeine Wohlbefinden von nichts negativ beeinflusst wird. Das Erfurter Frauenschachfestival war genau ein solches Event - eine Mischung aus Heimat, Familie und vielen Erinnerungen aus meiner Kindheit.
Da jede Geschichte einen Anfang hat, hole ich etwas weiter aus und fange mit meiner abenteuerlichen Bahnreise vom Frankfurter Flughafen nach Erfurt an. Da ich ungerne alleine Reise, habe ich meine gute Freundin Marina Brunello, die spätere Siegerin des Young Masters, und meinen allertreusten Freund Jonathan Carlstedt, der in Erfurt für die Berichterstattung und Kommentierung verantwortlich war, zu mir bestellt, bzw. waren sie so nett, ihren Flug nach Frankfurt für mich ein paar Tage früher anzutreten. Mit "Jonny" zu reisen zeigte allerdings bereits in der Vergangenheit manch merkwürdige Wendungen und Abenteuer, sodass ich umso überraschter war, als beide Flüge, sowohl Marinas als auch Jonnys pünktlich in Frankfurt landeten. Da kann ja eigentlich nichts mehr schief gehen, dachte ich, bis wir 20 Minuten vor Abfahrt unseres Zuges am Fernbahnhof Frankfurt/Flughafen feststellen mussten, dass unser Zug nicht nur vom Bildschirm verschwand, sondern gar gestrichen und zum Frankfurter Hauptbahnhof umgeleitet wurde. Mit etwas Glück erreichten wir noch die letzte mögliche S-Bahn zum Frankfurter Hauptbahnhof. Aber Jonnys Aura funktioniert leider so einwandfrei, dass wir bei unserer Ankunft im Grunde unbeeindruckt feststellen mussten, dass wir nicht nur völlig umsonst durch den Frankfurter Flughafen samt Gepäck gerannt waren sondern dass unser Zug nach Erfurt bereits 1 h Verspätung hatte. Mit Jonny sind Reisen jedenfalls immer ein echtes Abenteuer - vielleicht findet er ja eines Tages seine Berufung in dieser Branche.
Nach gefühlten 100 Stunden erreichten wir endlich mein Elternhaus in Kerspleben. Mir blieb nach dieser Strapaze noch ein ganzer Tag Erholung, bevor das Erfurter Frauenschachfestival mit den deutschen Schnellschach - Einzelmeisterschaften der Frauen eröffnet wurde.
Dass man es als Favoritin nicht immer leicht hat ist wohl kein Geheimnis. Bereits in der ersten Runde der Deutschen Frauen-Schnellschachmeisterschaften stand ich auf verlorenem Posten und konnte am Ende vom Glück reden, dass sich meine Gegnerin aufgrund weniger Sekunden auf der Uhr mit einem Remis begnügte. Danach schaffte ich zwar einen stattlichen Endspurt von 8/8, aber von schachlicher Spitzenqualität konnte keine Rede sein. Natürlich spricht ein Ergebnis von 8,5/9 für sich, allerdings war dieses Resultat hauptsächlich dem Fakt geschuldet, dass wir 20 min ohne "Zeitboni" spielten und auch der Tatsache, dass vielleicht die Eine oder Andere einfach zuviel Respekt hatte. Das erste Ziel war damit erreicht und nun wartete mit der Exweltmeisterin Alexandra Kosteniuk die eigentliche Hürde auf mich.
Unser erstes Aufeinandertreffen liegt bereits lange zurück. 1994 in Herkulane, Rumänien bei der Jugend-EM U10 spielten wir unsere erste Schachpartie. Diese Partie konnte ich gewinnen, was Alexandra, die sich immer auch schon durch ihr starkes Nervenkostüm auszeichnete, nicht davon abhielt den Europameistertitel zu holen.
2002 spielten wir ein Match über 8 Schnellschachpartien während des berühmten Schnellschachturniers in Mainz. Das Match ging nach spannenden Verlauf 4:4 aus. Aber es musste natürlich eine Siegerin geben, also spielten wir einen Tie-Break den Alexandra mit 2:1 für sich entscheiden konnte.
Bis zu unserem "Ladies Champions Match" in Erfurt trafen wir bei verschiedenen Events immer wieder aufeinander. Meistens im Schnell und Blitzschach in jüngster Zeit aber auch im klassischen Schach.
In Erfurt einigten wir uns auf 2 klassische, 4 Schnellschach und 8 Blitzpartien, die nicht zur Elo-Auswertung hinzugezogen werden sollten. Es ging also "lediglich" um Prestige und Preisgeld. Ob sich dieser "Umstand" auf die schachliche Qualität und das Endresultat auswirkte, obliegt letztendlich dem Auge des Betrachters. Was Alexandras Eröffnungswahl in unserem Match anging, wich sie in fast allen Partien von ihren Hauptvarianten ab, worauf ich eigentlich nur rück folgern konnte, dass sie mich entweder überraschen oder in einem Freundschafts-Match nichts verraten wollte.
Zu unserem Endergebnis kann ich vor allem sagen, dass ich vermutlich selbst am meisten über den Ausgang überrascht gewesen bin. Alexandra ging als haushohe Favoritin in dieses Match, auch wenn ich mit Heimvorteil und vielleicht auch meiner insgesamt positiven Bilanz statistisch betrachtet etwas entgegen zuhalten hatte. Am meisten "schockierte" mich mein klarer 2-0 Sieg in unseren klassischen Partien, wobei sie je einem einzigen kritischen Moment geschuldet waren, in dem Alexandra auf grobe Weise Fehl griff.
Nach dem Match gegen Alexandra folgte zum krönenden Abschluss des Erfurter Frauenschachfestivals die Deutschen Damen-Blitzschachmeisterschaften. Mit 50 Blitzpartien in nur 2 Tagen war dies allerdings kein Zuckerschlecken und ich musste meine letzten Energiereserven aktivieren, um diesen Marathon durchstehen zu können. Mit Sarah Hoolt, Marta Michna ,Judith Fuchs und Filiz Osmanodja war es zumal die stärkste Deutsche Damenblitzmeisterschaft, die je ausgerichtet wurde und mir war von vorne herein klar, dass dies kein Spaziergang werden würde.
Der erste Tag lief überraschend gut für mich und ich konnte mit 23/25 einen kleinen Vorsprung aufbauen. Der zweite Tag startete jedoch gleich zu Anfang mit einer Doppelnull, so dass Marta Michna die Führung übernehmen konnte. Erst am Ende des zweiten Durchgangs schaffte ich sie aufgrund ihres Remis gegen Filiz Osmanodja doch noch einzuholen.
Der Hattrick in Erfurt war für mich wohl möglich die erfolgreichste Turnierserie meines Lebens. Persönlich gesehen bedeutete mir mein Sieg über Exweltmeisterin Alexandra Kosteniuk jedoch am meisten.
Eine Neuauflage des Erfurter Frauenschachfestivals wird es so schnell nicht wieder geben, aber ich möchte mich an dieser Stelle beim ganzen Erfurter Organisationsteam, allen voran meinen Eltern, für die harte Arbeit herzlich bedanken.
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